(English version at end of post)
Es wäre verfehlt, deutschen Medien generell aggressive anti-amerikanische Reflexe zu unterstellen. Es kommt etwa bei Interviews mit amerikanischen Politikern gelegentlich durchaus auch zu handzahmen Kommunikationsformen. Voraussetzung ist: der amerikanische Gesprächspartner ist Bush-Kritiker. Dann reduziert sich der kritische Reflex deutscher Journalisten sofort auf die Gebärdensprache futterbettelnder Luxushündchen.
Diese Erfahrung ließ sich bei dem Aufeinandertreffen von Hillary Clinton mit dem SPIEGEL ebenso machen wie nun - 26.10.03 - beim Interview, das Madeleine Albright der Welt am Sonntag huldvoll und unbedrängt von harten Fragen gewährte. Albright - unter Clinton Aussenministerin - propagiert zur Zeit ihre gerade erschienene Autobiographie. Sie hat sich zuletzt als Kritikerin der Bush-Administration zu profilieren gesucht - keine schlechte Visitenkarte für ein warmes Willkommen in deutschen Redaktionsstuben.
Dies sind einige der "Fragen", die die WamS-Mitarbeiterin Waltraud Kaserer an Albright richtete:
"In vielen Ländern der Welt denken die Menschen sehr negativ über die USA. Das zeigen die Studien des German Marshall Fund und des PEW Research Centers. Wie kann die Regierung Bush das ändern?"
"Hat die Bush-Regierung die Diplomatie vernachlässigt?"
"In Ihrem Buch beschreiben Sie die klassische Rollenverteilung in Washington so, dass das Außenministerium die Außenpolitik definiert und der Nationale Sicherheitsrat diese Politik sowie die Verteidigung und die Geheimdienste koordiniert. Ist das in den vergangenen zwölf Monaten so gelaufen?"
"Experten in Washington führen die öffentliche Diskussion dieser Meinungsverschiedenheiten auf eine Schwäche von Condoleezza Rice zurück. Stimmen Sie dem zu?"
"Ist denn diese Art Parallel-Sicherheitsrat von Cheney für die US-Politik hilfreich?"
"Wegen des Chaos im Irak hat Bush bei der amerikanischen Bevölkerung an Rückhalt verloren. Wie wird sich das auf die Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr auswirken?"
Kammerer begibt sich freiwillig in die Rolle der Stichwortgeberin, und natürlich akzeptiert Albright die angebotene journalistische Unterwürfigkeit zur Kritik an der Bush-Administration:
"Die Kommunikation dieser Regierung besteht aus dem Senden von Nachrichten, aber nicht aus dem Verständnis für die anderen. Sie sollte mehr zuhören und daraus dann ihre Strategien entwickeln. ... Aber die Zuversicht, dass Bush zu schlagen ist, steigt. ... Die Amerikaner fühlen sich verwundbar."
Nun täte man Kaserer unrecht, wollte man ihr ein generell devotes journalistisches Selbstverständnis unterstellen. Sie kann auch zubeißen - wenn es sich um US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld handelt. In der gleichen Ausgabe der WamS wendet sie sich direkt an Rumsfeld (wohl in der etwas zu optimistischen Annahme, er würde ihre Kritik am Frühstückstisch lesen):
"Schlechter Verlierer, Herr Rumsfeld!
Nur wenige Tage, nachdem Ihnen von Präsident Bushs Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice im Irak das Heft aus der Hand genommen wurde, schlagen Sie zurück. ... In einem angeblich vertraulichen Memorandum beklagen Sie die Ineffizienz Ihrer Regierung im Kampf gegen den Terror und die vielen getöteten amerikanischen Soldaten im Irak. Sie selbst waren doch als Verteidigungsminister der Betreiber und Architekt des Krieges gegen Saddam Husseins Regime. Daher kommt Ihre Erkenntnis ziemlich spät. ...
Für Ihre Reaktion gibt es zwei Erklärungen: Entweder Sie wollen sich nur gegen die neue Verantwortliche für die Irak-Politik in Stellung bringen und treten die Flucht nach vorn an. Oder Sie haben die Situation von Anfang an falsch eingeschätzt. ... Als Allererstes müssten aber Sie, Minister Donald Rumsfeld, mit Ihren Kollegen im Kabinett Bush an einem Strang ziehen, um das Chaos im Irak zu beenden."
Chapeau, Waltraud Kaserer! Was für eine glasklare Sprache! Welch' ein analytischer Tiefsinn! Kritischer, zupackender Meinungsjournalismus, wie er typisch ist für deutsche Medien!
Wäre nur schön gewesen, wenn sie ihn auch bei Albright in Stellung gebracht hätten, mit Fragen wie diesen:
Warum hat die Clinton-Administration dem Phänomen des fundamentalistischen Islam so wenig Aufmerksamkeit gewidmet?
Warum hat die Clinton-Administration Osama bin Laden nur per Fernattacke mit einigen wenigen Raketen angegriffen, statt militärisch direkt in Afghanistan zu intervenieren?
Warum hatte die Clinton-Administration das Angebot des Sudan, Osama bin Laden auszuliefern, nicht angenommen?
Fragen über Fragen - leider nicht gestellt von einer Journalistin, der Ideologie wichtiger ist als publizistische Glaubwürdigkeit.
Ach ja: das fiel dann doch noch auf. Am 25.10.03 erschien in der Welt ein Kommentar zu Madeleine Albright, geschrieben von Andrea Seibel. Der Kommentar enthielt - anders als das Interview mit Kaserer - durchaus auch kritische Töne. Am besten gefiel mir diese Sequenz: "Auch wenn man Sie (Madeleine Albright) gerade in Deutschland so absichtsvoll hofiert, weil man seinen Anti-Bush-Gefühlen lustvoll frönen will...". Frau Seibel: rufen Sie doch bitte mal bei Frau Kaserer an!
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