(By Paul13)
SPIEGEL online
Ohne den 11. September 2001 säße im Weißen Haus ein anderer, über Afghanistan wüsste die westliche Welt so viel wie über West-Kansas, und stehen gelassene Koffer wären höchstens als Stolperfalle gefährlich. Oder doch nicht? Experten skizzieren für SPIEGEL ONLINE die Welt, in der wir jetzt leben würden.
[…] Israel, Syrien und Iran scheinen sich allmählich aussöhnen zu wollen. Die Furcht vor dem Unsicherheitsfaktor Nummer eins in der Region eint sie: Saddam Hussein rasselt seit dem Golfkrieg 1990 ständig mit dem Säbel.
Nette Idee. Hätte man tatsächlich was draus machen können. Hat man aber nicht. Stattdessen malt man sich eine nahezu idyllische Welt voller rational handelnder Akteure, in der die einstigen Erzfeinde Israel, Syrien und Iran plötzlich dicke Freunde sein wollen, und das wird dann makabererweise auch noch mit Saddam Husseins friedenstiftendem Säbelgerassel begründet.
So greift man erst in einen Wassermalkasten voll bunter Farben, und stellt dann angesichts der unattraktiven Schwarzweißbilder der Bush-Ära mit kindlichem Erstaunen fest, daß die Welt ohne ihn viel hübscher wäre. Mit der Bezeichnung Best-Case-Szenario sind diese Träumereien jedenfalls noch äußerst freundlich umschrieben. Doch der SPIEGEL wäre nicht der SPIEGEL, wenn er eine dermaßen peinliche Schönfärberei nicht wenigstens pro forma mit dem Feigenblatt einer pseudokritischen Analyse zu entschärfen versuchen würde:
Schöne neue Welt - könnte sie so aussehen, wäre ein bestimmter Tag des Jahres 2001 anders verlaufen?
dass sich die Welt ohne die Terroranschläge dieses Tages völlig anders entwickelt hätte? Dass der mächtigste Mann der Welt ein anderer wäre; dass die Welt friedlicher wäre; dass islamistischer Terror nicht unser Leben bestimmte?
Experten zweifeln erheblich an einem solchen Szenario. Bei SPIEGEL ONLINE beschreiben sie, was dieser eine Tag wirklich verändert hat.
Soso, Experten. Ich kann mir schon gut vorstellen, wie man die aufgetrieben hat. Wahrscheinlich hat unser Redakteursschneewittchen einfach "SPIEGEL, SPIEGEL, in der Hand, wer ist der klügste im ganzen Land?" gerufen und plötzlich standen unsere sieben Zwerge vor der Tür, überglücklich, daß sie endlich mal jemand nach ihrer Meinung fragt.
Anders ist jedenfalls nicht zu erklären, wie dieses Dreamteam es fertiggebracht hat, einen Artikel zum Thema "Die Welt ohne 9/11" zu schreiben, ohne dabei wenigstens einmal Begriffe wie Dschihad, Demokratisierung, Achmadinedschad, Katjuscha oder Völkermord zu verwenden; ganz so, als ob die Erfindung der Schariah, die ethnischen Säuberungen im Sudan, die Gründung der al-Qaida, der palästinensische Terrorismus, die Raketenrüstung der Hisbollah, der Beginn des iranischen Atomprogramms oder das gegenseitige Massakrieren von Sunniten und Schiiten erst durch die amerikanische Reaktion auf den 11. September ausgelöst worden wäre, während diese Politik gleichzeitig natürlich nichts, aber auch gar nichts mit dem Sturz der mittelalterlichen Schreckensherrschaft der Taliban, den ersten freien Wahlen im Irak, der Demokratiebewegung im Libanon und der zunehmenden innerarabischen Diskussion über westliche Freiheiten zu tun hat.
Aber lassen wir stellvertretend für diese geballte Brainpower unserer glorreichen Sieben einfach mal den "Politologieexperten" zu Wort kommen, der durch seine rosarote Brille unter seiner über die Augen gezogenen Zipfelmütze offenbar einen ganz ausgezeichneten Blick auf die Weltpolitik hat:
In den USA wäre Bush auf relativ unspektakuläre Art ein zweites Mal gewählt worden. Keinesfalls war eine solche Polarisierung zu erwarten, dass Bush am Ende unter seinen Republikanern bessere Zustimmungsraten hatte als Ronald Reagan zu seiner Glanzzeit - und unter Demokraten schlechtere als Richard Nixon vor seinem Rücktritt. Die Welt wäre weniger dramatisch, doch vielleicht ein schönerer Platz zum Leben mit beliebteren USA.
Mal ganz davon abgesehen, daß der Verlust des Beliebtheitspreises in einem globalen, um das nackte Überleben geführten Konflikt nur Abzüge in der B-Note bedeutet, ließe sich ohne allzu viel Phantasie mit einer weit größeren Berechtigung als jede der hier in SPIEGEL online vorgestellten Märchenwelten auch folgende, nicht einmal extrem negativ fortgeschriebene Entwicklung skizzieren:
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