Do Aug 14, 11:01:02 AM
Es ist stets aufschlußreich, Berichte in deutschen Medien mit denen in ausländischen zu vergleichen - zumal, wenn sie sich auf die gleichen Sachverhalte beziehen.
Beispiel: die Affäre um den englischen Wissenschaftler Kelly und die Öffentlichkeitsarbeit der Blair-Regierung während des Irak-Kriegs. FAZ und die Times berichten am 13.8. beide über die Sitzung der Hutton-Kommission ("Hutton Inquiry") am 12.8. Vernommen wurden u.a. die BBC-Journalisten Andrew Gilligan und Susan Watts. (vgl. auch Eintragungen in diesem Weblog am 20.7.03 und am 2.8.03)
Für FAZ-Korrespondent Bernhard Heimrich geben die Ergebnisse der Vernehmungen Hinweise auf fehlerhaftes Regierungshandeln. Die Überschrift des Heimrich-Beitrags sowie die Kapitel-Überschriften belegen die Tendenz:
"Irak-Dossier eine Woche vor Veröffentlichung verändert" - "Brisante Aufzeichnungen" (von Gilligan) - "Widersprüche in Regierungsdarstellung"
Heimrich zitiert Gilligan und Watts, Kelly habe geklagt, "die Regierung habe Geheimdienstmaterial „nachgebessert", um dem widerstrebenden Parlament und der Öffentlichkeit den Feldzug plausibler zu machen. Eine weitere BBC-Journalistin, die in einer Fernsehsendung ähnlich berichtet hatte, konnte nicht nur eigene Aufzeichnungen vorlegen, sondern auch Mitschnitte von Telefongesprächen mit Kelly. Beide Zeugen beharrten, Kelly sei beunruhigt gewesen über die Art und Weise, wie die Regierung die Hinweise des Geheimdienstes für ihre Öffentlichkeitsarbeit benutzt habe."
Die Äußerungen der BBC-Journalisten werden von Heimrich nicht hinterfragt; er hat keine Zweifel an ihrer Richtigkeit. Seine Widergabe der Stellungnahme der Blair-Regierung hingegen wird sofort mit Gegenargumenten versehen, die deren Glaubwürdigkeit in Frage stellen: "Die Regierung hat dem von Anfang an heftig widersprochen und dargelegt, sie habe das Dossier nicht „nachgewürzt", und der Geheimdienst stimme mit dem veröffentlichten Text vollständig überein. Dieser Standpunkt hatte freilich schon im Lauf der ersten Befragungen am Montag einen zweifachen Widerspruch erfahren. Nach der einleitenden Befragung eines früheren UN-Waffeninspekteurs, mit dem Kelly 1991 im Irak gearbeitet hatte, hatten leitende Beamte das Wort: Richard Hatfield, der Personalchef des Verteidigungsministeriums; Martin Howard, der stellvertretende Leiter der Geheimdienstabteilung des Ministeriums; Patrick Lamb, der stellvertretende Leiter der Abteilung des Außenministeriums, die sich mit der Nichtweiterverbreitung von Atomwaffen beschäftigt; und Julian Miller, ein leitender Beamter des Verbindungsstabes zum Geheimdienst im Kabinettsbüro. Dabei war nicht nur bestätigt worden, daß Kelly ein international anerkannter Fachmann auf seinem Gebiet war und die höchste Sicherheitsstufe des Geheimdienstes besaß. Sogar die amerikanische CIA habe seine Mitarbeit angefordert. Zutage kam auch, daß zwei weitere leitende Mitarbeiter des Geheimdienstes ähnlich beunruhigt waren wie Kelly und ihren
Widerwillen gegen die Behandlung des Materials durch die Regierung intern zu Protokoll gegeben hatten. Das widersprach der Version, die am Beginn der Affäre von der Regierung in Umlauf gebracht worden war: Kelly sei ein unwichtiger "mittlerer Beamter", der nicht gewußt haben könne, über was er rede."
Der gleiche Sachverhalt - die Tagung der Hutton-Kommission am 12.8. - erfährt in der Kommentierung der "Times" eine gänzlich andere Deutung. Die BBC wird scharf kritisiert, die Blair-Regierung nicht: "What Lord Hutton learnt yesterday, however, reinforces questions about the conduct of the BBC that the judge will doubtless wish to reflect upon.
David Kelly met Mr Gilligan at the journalist’s request and the two shared only an Appletise and a Coke at the Charing Cross Hotel. In other words, the exchange was a meeting to brief the journalist, not a convivial lunch at which information was exchanged. This makes it surprising that Mr Gilligan appeared not to have a notebook and recorded the meeting imperfectly on a PalmPilot. It is also unfortunate that he is now unable to locate the manuscript notes he made after the event.
The importance of this observation about unorthodox reporting practice is reinforced by the revelations made yesterday about the attitude of Mr Gilligan’s very capable editor at the Today programme, Kevin Marsh. The latter clearly has serious doubts both about Mr Gilligan’s general work and about the specific story at issue in the Hutton inquiry.
He believed the Today item was “marred by flawed reporting”, by “loose use of language”, and by “lack of judgment in some of his [Gilligan’s] phraseology”. He ascribed these mistakes to the reporter’s loose relationship with the programme’s management and proposed a raft of changes that suggest that Mr Marsh felt Mr Gilligan should be more closely supervised.
Mr Marsh’s reasonable doubts about Mr Gilligan and his report make the BBC’s decision to conduct a battle with the Government in defence of both of them highly questionable. The governors themselves shared at least part of the Today editor’s reservations. Lord Hutton and the BBC itself will surely be considering carefully whether it was wise to persist with this battle as a matter of supposed principle.
The BBC will doubtless have found some comfort in the evidence of Newsnight’s thoroughly professional Ms Watts. She confirms that Dr Kelly did indeed mention Alastair Campbell when talking of the way in which the “45-minute” claim had appeared in the Government’s intelligence dossier. Yet Ms Watt’s evidence is not as helpful to the BBC as it might hope. She chose to ignore the mentioning of Mr Campbell’s name because she had no reason to believe that Dr Kelly had enough access to be a reliable source for this information.
For this reason one other document may be regarded by Lord Hutton as extremely significant. It is an internal programme memo which may refer to the Kelly item and records that “Gilligan has v[ery] good story he hasn’t stood up yet”. This was dated a few days after the journalist’s meeting with Dr Kelly. At that time all involved appeared to know that Mr Gilligan’s source could not be used alone since it was not an adequate foundation for the allegation. There is no suggestion that he found any other corroboration of this single source. Yet the story was broadcast and even the element or two that Mr Gilligan now concedes were flawed had never been formally retracted.
At least Ms Watts provided evidence of the quality journalism the BBC Governors should rush to defend."
Quintessenz des Times-Kommentars: Der BBC-Journalist Gilligan praktizierte einen fragwürdigen Journalismus ("unorthodox reporting practice "); der Leiter der BBC-Redaktion, für die Gilligan seinen Bericht produzierte, distanziert sich von Gilligan; die BBC-Journalistin Watts mißtraute zentralen Äußerungen von Kelly und publizierte sie nicht; Gilligan hat sich nicht an den journalistischen Brauch gehalten, eine zweite Quelle zur Verifizierung der Kelly-Behauptungen zu suchen.
Fazit: die FAZ übernimmt kritiklos die Darstellung eines BBC-Journalisten, dessen Recherchepraktiken der renommierten "Times" - und sogar der BBC selbst - äußerst fragwürdig erscheinen. Wie es scheint, weiß Gilligan nur noch die FAZ hinter sich...
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