(By Paul13)
Irre! Der SPIEGEL kriegt sich ja gar nicht mehr ein vor lauter Freude über die Entmachtung der NeoCons. Da muß sich ganz schön was aufgestaut haben in all den Jahren. Anders ist nicht zu erklären, daß er die Siegesmeldungen jetzt schon im Stundentakt heraushaut. Und eine besser als die andere. Da will man gerade anfangen, sich angemessen über Marc Pitzke ärgern, da kommt schon Gerhard Spörl und schafft es tatsächlich, ihn noch zu toppen, was im Falle von Pitzke ja nun wirklich kein leichtes Unterfangen ist. Da muß ich jetzt doch mal eingreifen, so geht das ja nicht weiter. Nicht daß die Realpolitiker am Ende einen Herzkasper kriegen, bevor sie noch ihr segensreiches Wirken beginnen können.
Vorbei ist es mit den amerikanischen Alleingängen und den bilateralen Diktaten. Geht es nach der Kommission - und es wird nach ihr gehen, kaum Zweifel -, dann findet eine internationale Konferenz über die Lage im Nahen Osten statt. Das schließt Gespräche Amerikas mit zwei Ländern ein, die nicht zum kommoden Umgang gehören: Syrien und Iran.
Da lacht der SPIEGEL. Denn eine Welt, in welcher Despoten wie Assad und Chameini ein Mitspracherecht haben, ist natürlich weit besser als eine Welt, in der ihnen selbiges verwehrt wird. Der Gedanke, daß westliche Demokratien die Geschicke der Welt dominieren, ist schließlich die
schrecklichste Vorstellung überhaupt. Dann lieber die eine oder andere Diktatur mitreden lassen. Da kommt bestimmt was besseres bei raus.
Syrien hat mindestens zwei Gesichter: das Baschar al-Assads, des Augenarztes mit dem früheren Wohnsitz London, der weiß, wie der Westen denkt und vielleicht auch selber so wie der Westen denkt; und das des alten Regimes, das feste kujoniert, den Verlust der Einflusssphäre im Libanon für einen bodenlosen Fehler hält und brav al-Qaida, der Hisbollah und der Hamas Unterstützung angedeihen lässt. Wäre nicht schlecht, wenn langsam herauskäme, welches Gesicht Syriens eigentliches Gesicht ist.
Also wer jetzt immer noch nicht weiß, welches der beiden Gesichter Syriens eigentliches Gesicht ist, dem ist wirklich nicht mehr zu helfen. Assad nach allem was passiert ist immer noch als den unschuldigen, reformorientierten Augenarzt aus London zu skizzieren, der - wenn das der Führer wüßte! - nur von der bösen alten Garde genasführt wird, legt nahe, die SPIEGEL-Auslandsredaktion nach Damaskus zu verlegen. Dann wird er auch wieder billiger und kann sich so zugleich seiner qualitativen Entwicklung anpassen.
Vorbei ist es auch mit dem Schleifenlassen des Konflikts zwischen den Israelis und den Palästinensern. Israel holte schnell noch mit seiner Invasion im Libanon alle Fehler nach, die Amerika schon im Irak begangen hatte. Der kleine König von Jordanien meinte neulich, wenn es nicht ein paar Sonderanstrengungen zur Eindämmung der Konflikte in dieser Region gebe, dann könnte es die Welt dort bald mit drei Kriegen zu tun haben: Irak, Libanon, Israel. Schöne Aussichten.
Klingt logisch. Wie ja der aufmerksame SPIEGEL-Leser inzwischen weiß, wäre an all diesen Kriegen natürlich nur Israel schuld. Hätte man hingegen mehr auf konstruktive Mitspieler wie Syrien und den Iran gehört, dann hätte die Hisbollah ihre Waffen schon lange abgegeben, Assad die ersten freien Wahlen im Libanon gefordert, die Hamas Israel anerkannt, der Iran Freude an einer demokratischen Entwicklung des Irak - sprich, alle wären glücklich, wenn da nur nicht immer diese widerborstigen Juden wären.
Vorbei wird es sein mit der "Wir verlassen den Irak nicht solange es die Iraker nicht wollen"-Rhetorik.
Ist das nicht toll? Jetzt kommt endlich die "Wir verlassen den Irak auch wenn es die Iraker nicht wollen"-Rhetorik. Das funktioniert bestimmt besser. Man kann die Freudenschreie aus Baghdad regelrecht hören. Bald darf sich dort der kleine Mann auf der Straße ungestört mit dem al-Qaida-Kopfabschneider und dem al-Sadr-Bohrmaschinenfolterer unterhalten, ohne daß die Präsenz der Amerikaner letztere zu einer unnatürlichen Zurückhaltung zwingt. Wie bemerkte Gerhard Spörl so treffend: Schöne Aussichten.
Es wird einen phasenweisen Rückzug und eine phasenweise Reduzierung der Truppen geben. Fast genial - und natürlich mindestens genau so tückisch - ist das Junktim der Kommission: Wenn es der irakischen Regierung langsam, aber sicher gelingen sollte, mit eigenen Kräften dem Aufstand und der Blutorgie ein Ende zu setzen, dann ziehen sich die US-Streitkräfte allmählich zurück.
Sprich genau die Art von Druck gegenüber den irakischen Demokraten, die Bush sich nie hätte erlauben dürfen, ohne gerade vom SPIEGEL kolonialistischer Anmaßung geziehen zu werden. Aber schön, daß man in der Brandstwiete die diesbezüglichen Ansichten um 180° gedre... äh, den Erfordernissen entsprechend feinjustiert hat.
Geht es wie gehabt weiter mit Morden und Attentaten und dem Bürgerkrieg, der keiner sein darf, erweist sich die Regierung als hilflos, dann zieht sich die Besatzungsmacht schneller zurück. Das hat die Kommission ziemlich gut durchdacht. Kalter Realismus. Tun, was getan werden muss. Keine Sentimentalität gegenüber niemandem. Chapeau.
Ist vermerkt, lieber SPIEGEL, ist vermerkt. Kalter Realismus. Tun, was getan werden muss. Keine Sentimentalität gegenüber niemandem. Wie wär's noch mit "Schwund gibt's immer" oder "Wo gehobelt wird fallen Späne"? Realpolitiker, hört die Signale. Ab jetzt habt Ihr von Deutschlands wichtigsten Nachrichtenmagazin aus gesehen freie Hand, das zu tun, was nötig ist. Und vom Timing her absolut perfekt, daß Kissinger seine Rehabilitierung gerade noch rechtzeitig bekommt, bevor Pinochet den goldenen Löffel abgibt.
Nichts davon ist leicht zu haben. Weder Ägypten noch Saudi-Arabien findet Gefallen an einer Konferenz, die Iran in den Stand einer Vormacht im Nahen Osten erhebt.
Vielleicht nicht Ägypten und Saudi-Arabien, aber immerhin der SPIEGEL. Und Achmadinedschad steuert sicher gerne das dazugehörige nukleare Freudenfeuerwerk bei.
Auch Hakim ließ in Washington wissen, er lehne Einmischung von außen ab. Was Israel davon hält, wenn ihm Verhandlungen auferlegt werden, die es nicht führen will, kann man sich denken. Vielleicht ist Syrien am ehesten glücklich mit der Konferenz, kommt es doch heraus aus der Isolation, vielleicht.
Hach, wär das toll! Der Libanon wieder ein Privatunternehmen des Assad-Clans, die Golanhöhen in der Hand seiner friedensorientierten Generäle, und das ganze dann noch mit europäischen Geldern finanziert. Das ist ja ein Traum. Ein Albtraum.
Und Amerika? Wahrscheinlich war sein Einfluss in dieser Weltgegend selten so gering wie heute.
Also wenn das mal keine gute Nachricht ist. Amerika gedemütigt, das lindert natürlich so manchen europäischen Minderwertigkeitskomplex. Da kann die Achse des Friedens endlich zeigen was sie drauf hat. Es darf gezittert werden.
Bush kann seinem Nachfolger den Gefallen tun und den Schlamassel beseitigen, soweit er ihn beseitigen kann. Dafür muss es vorbei sein mit den Vorbedingungen für Verhandlungen, die ja im Fall Syrien wie im Fall Iran Vorbedingungen zum Zweck der Vermeidung von Gesprächen waren.
Genau. Die Nachbarländer nicht zu destabilisieren, auf die Unterstützung des Terrorismus zu verzichten, die Entwicklung von Massenvernichtungswaffen einzustellen, Israel anzuerkennen, am Ende gar sich zu demokratisieren - das ist definitiv zuviel verlangt! Solche unzumutbaren Forderungen MÜSSEN Syrien und der Iran ja ablehnen. Aber nicht, daß jetzt deswegen jemand auf den abwegigen Gedanken kommt, daß diese Staaten irgendwie ungeeignet sein könnten, die Rolle als Kooperationspartner für einen regionalen Frieden zu übernehmen.
Angesichts dieses sich immer unkontrollierter ausbreitenden und jetzt offenbar auch in seinen Auswirkungen rasend schnell eskalierenden Realistenwahnsinns würde es mich mal brennend interessieren, ob bereits den ersten Gegnern der NeoCons ein wenig unheimlich zumute wird. So viel unverhüllte Diktatorenversteherei und offene Lobhudelei auf die brutalsten zeitgenössischen Terrorregime war jedenfalls selten in der deutschen Medienlandschaft. Es wird ausgesprochen aufschlußreich sein zu sehen, wer von den anderen Anhängern der Realpolitik hier aus Angst, für Spörls krude Thesen in Mithaftung genommen zu werden, widerspricht. Noch interessanter wird allerdings sein, wer von ihnen das nicht tut.
Nachtrag: Zur Ehrenrettung des SPIEGEL muß gesagt werden, daß er, während ich diesen Artikel schrieb, bereits einen weiteren, diesmal etwas differenzierteren Artikel gebracht hat, in welchem Claus Christian Malzahn dieses ganze hysterische "Sieg! Wir Realisten haben gewonnen!"-Gepose auf normale Betriebstemperatur herunterkühlt. Man wird sehen, ob mich das genügend besänftigt, um mein SPIEGEL-Abo doch nicht zu kündigen.
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