(English summary: please scroll down)
Die O'Neill-Story gibt den Bush-Feinden in deutschen Redaktionsstuben wieder etwas Lebensmut zurück. Zu viel war aber auch schief gegangen in den letzten Wochen: Saddam gefangen, Gaddhafi eingeknickt, erfolgreiche Mars-Expedition der NASA, hohe Wachstumsraten der US-Wirtschaft - für linke deutsche Journalisten gab es letzthin wirklich wenig zu lachen.
ABER JETZT O'NEILL: die SPIEGEL-Tiefflieger werden zum Sofort-Einsatz gerufen. Und vornedran das New Yorker SPIEGEL-Top Gun Marc Pitzke:
Ein Insider packt aus Von Marc Pitzke, New York
Der geschasste US-Finanzminister O'Neill bringt seinen früheren Dienstherren in Bedrängnis. In einem TV-Interview gestern Abend und in einem Buch wirft er George W. Bush vor, er habe den Irak-Krieg von Anfang an geplant. In beispielloser Weise entblößt er den Regierungsstil des Präsidenten und die Ränkespiele seiner Prätorianergarde.
Die Einleitung des Artikels zeigt schon: der Mann ist nicht irgendwer. Pitzke ist ein hochdekorierter Veteran der Anti-Bush-Kampagnen von SPIEGEL ONLINE, gehärtet durch eine Vielzahl von Angriffen auf die Bastionen der Neo-Konservativen. Und doch - trotz aller journalistischer Kampfeslust ist Pitzke auch ein feinsinniger Großmeister der Feder:
"Es kann keinen Spaß machen, besetzt zu sein", grübelt US-Verwalter Paul Bremer kokett. "Aber ehrlich gesagt, es macht auch nicht Spaß, eine Besatzungsmacht zu sein."
Hmm... wie grübelt jemand kokett? Alleine die physiognomischen Voraussetzungen koketten Grübelns erscheinen enorm.
Wenn Pitzke zielt und abdrückt, macht er keine Gefangenen:
Bushs Vietnam Von Marc Pitzke, New York
Die tödlichen Attacken im Irak stürzen George W. Bush in eine tiefe Krise. Im Weißen Haus macht sich Verzweiflung breit, der US-Präsident schottet sich ab und konzentriert alle Macht im Oval Office. Kritiker warnen vor einem endlosen Krieg und nutzen als Vergleich immer häufiger das berüchtigte "V-Wort": Vietnam.
Und wir benutzen das "K-Wort": Kampagnenjournalismus.
English summary:
SPIEGEL ONLINE's Marc Pitzke again attacks George W. Bush and the neo-conservatives, using the O'Neill story. As usual, Pitzke takes no prisoners. According to Pitzke, Bush's in a desperate situation, in a deepening crisis, in a loosing streak. Just another piece of biased reporting from SPIEGEL ONLINE:
Der Artikel toppt wirklich alles, was ich in letzter Zeit gelesen habe...
Und der Gipfel ist, daß indirekte Zitate O'Neills im Indikativ wiedergegeben werden, so daß sie als Fakten da stehen. Und die Begriffe 'Prätorianergarden' und 'Paladine' (besonders geeignet, weil in der Regel in Verbindung mit Himmler oder Göring gebraucht und somit natürlich den allseits beliebten Hitler-Vergleich hervorkitzelnd) werden natürlich ohne Anführungszeichen übernommen. Denn wenn ein Insider auspackt, dann sind das natürlich Fakten, die man nicht hinterfragen muß.
Posted by: Thomas | January 12, 2004 at 01:41 PM
Sehe gerade den Titel des Dossiers über Bush:
'Leichtgewicht, fest im Sattel'.
Sollte einem fast die 1,50 € wert sein, denn es gibt alles, was man braucht: Empire, Gotteskrieger, scheinheilige Moralapostel, Neocons... Da sage mal einer, der Spiegel berichte nicht ausgewogen!
Posted by: Thomas | January 12, 2004 at 01:53 PM
Ein Interview vom 24.10.2003 (Aspekte) mit Bob Woodward: Ein exzellenter Woodward läßt sich von dümmlichen Journalisten-Fragen nicht irritieren und erklärt dem Reporter Bushs Politik:
http://www.zdf.de/ZDFde/inhalt/27/0,1872,2074363,00.html
Bob Woodward: Der 11. September war ein großer Schock, für Bush, für ganz Amerika. Noch bevor Bush Präsident wurde, hatte sich die CIA mit ihm Verbindung gesetzt und ihm gesagt, dass er auf drei Dinge aufpassen muss, wenn er die Präsidentschaftswahlen gewinnen sollte: Osama Bin Laden and sein Netzwerk, die Ausbreitung von Massenvernichtungswaffen und den Aufstieg des chinesischen Militärs.
Bush hat darauf hin zunächst einmal gar nichts getan. Er hat überhaupt keine Reaktion gezeigt, die das Problem Bin Laden in irgendeiner Weise hätte lösen können. Am 11. September, am Tag dieses gigantischen terroristischen Angriffs, hat Bush dann begriffen, dass er gewarnt worden war, aber nichts getan hatte. Ich denke, das hat diese sehr intensive Reaktion der Bush-Administration in Afghanistan ausgelöst.
Posted by: | January 12, 2004 at 10:27 PM
Hier ist noch ein kleiner Auszug:
aspekte: Viele Deutsche sehen in Bush eine größere Bedrohung für den Weltfrieden als in Saddam Hussein. Können Sie sich das erklären?
Woodward: Da wird dem Präsidenten auf einmal die ganze Schuld in die Schuhe geschoben. Menschen, die Kriege grundsätzlich ablehnen, bezeichnen Bush als einen Kriegstreiber. Aus ihrer Sicht war er es, der den Krieg im Irak begonnen hat.
Langfristig gesehen und unter moralischen Gesichtspunkten betrachtet ist es absurd, so etwas zu sagen. Deshalb muss es noch viel mehr Erklärungen geben für das Handeln der Bush-Administration, um es den Menschen näher zu bringen und es der breiten Öffentlichkeit verständlicher zu machen. Das ist auch meine Aufgabe als Journalist.
Posted by: | January 12, 2004 at 10:30 PM
Das Spiegel macht genau das was sie mussen um Zeitungen zu verkaufen, genau wie die amerikanischen Lappen wie NYTimes & Washington Post. Die Deutschen wollen keine guten Nahost-Nachrichten lesen. Die wollen Schadenfreude haben als die Amis abstürzen.
In einem Jahr wird es eh egal. Dann gibt's wieder World Cup oder sowas, und werden sie endlich ein neues Thema bekommen zu besprechen. Inzwischen werden die Amis Irak, Afghanistan, und noch 4 Jahren für Dubya sichern.
Posted by: Rube | January 15, 2004 at 09:40 PM
Tja, Kollege Pitzke schlägt auch beim Artikel zu Mel Gibsons Passion-Film wieder zu. Da wird mal kurz die Kinokritik der New York Times negativ interpretiert, obwohl die sich eigentlich nur
Zu den populistisch aufgegriffenen, angeblich antisemitischen Botschaften werden keine Fakten genannt, Mel Gibsons 45minütiges Interview im US-Fernsehen ist als Primärquelle nicht zitierwütig.
Schade, aber zu erwarten. Wer denkt, der Spiegel sei neutral, lebt im Märchenland. Wie hier jemand treffend bemerkte: Es zählt die Auflage, nicht die Aussage.
Posted by: ro | February 27, 2004 at 01:35 AM