(English translation at end of post)
Die offizielle Feier zum "Tag der deutschen Einheit" am 3. Oktober in Magdeburg sollte nach dem Willen der Bundesregierung eine Reihe von Botschaften übermitteln. Nach der Stellungnahme auf der Site der Bundesregierung waren dies:
- in den letzten 13 Jahren wurde auf dem Weg zur Einheit vieles erreicht, aber ein langer Weg liegt noch vor uns;- die deutsche Einheit ist als Prozeß der europäischen Integration zu verstehen;
- Deutschland ist bereit, weltweite Verantwortung zu tragen.
In der Rede von Bundeskanzler Schröder werden interessante Akzente gesetzt, die den anti-amerikanischen Kurs der Bundesregierung einmal mehr unterstreichen. Für Schröder - dessen Partei (SPD) im Wahlkampf 1990 vor einer baldigen Wiedervereinigung warnte - waren für die Wiedervereinigung ursächlich:
- Europa ("wir erinnern uns heute aber auch daran, dass Deutschlands Freiheit und Einheit nur im europäischen Kontext gelingen konnten");- die Freiheitsbewegungen in Ost-Europa ("...wäre nicht möglich gewesen ohne die friedliche Revolution in Mittel- und Osteuropa von 1989. Ohne das Zerschneiden des Stacheldrahts an der ungarischen Grenze, ohne die Solidarnosc-Bewegung in Polen, ohne die samtene Revolution in Prag.").
Schröder findet kein Wort des Dankes an die Adresse der USA. Der jahrzehntelange Schutz Deutschlands - und speziell Berlins - durch amerikanische Soldaten findet ebensowenig Erwähnung wie die politische Unterstützung der Wiedervereinigung durch die amerikanische Regierung im Jahre 1990: es war schließlich der damalige US-Präsident Bush sen., der gegen den Widerstand von Francois Mitterand und Maggie Thatcher das Projekt der Wiedervereinigung durchsetzte.
Aber Schroeder verzichtete in seiner Rede nicht nur auf ein Wort das Dankes an die langjährigen amerikanischen Bündnispartner - er kritisierte sogar indirekt, für jeden verständlich, die Irak-Politik der US-Regierung:
"Und dort, wo wir überzeugt waren, dass die angenommene Bedrohung die Gefahren und Konsequenzen eines Krieges nicht rechtfertigt, haben wir den Mut gehabt, Nein zu sagen."
Geschickt weist Schröder im direkten Kontext dieser Äußerung darauf hin, daß "wir" keinem "Hurra-Patriotismus" folgen, sondern "einer Politik der Prävention und des Engagements für Sicherheit".
"Für diese Politik finden wir Partner und große Übereinstimmung in der Europäischen Union, in der NATO und, wie ich erst in der vergangenen Woche wieder erfahren habe, auch in den Vereinten Nationen."
Jedem Zuhörer ist bewußt, von wem Schröder sich mit diesen Äußerungen absetzen möchte: von den USA, deren Politik angeblich diese "große Übereinstimmung" nicht findet. Anti-Amerikanismus ist für die jetzige Bundesregierung der Stützpfeiler einer Strategie, die auf eine größere Rolle in der internationalen Politik abzielt. Dies wird auch deutlich in einer (englischsprachigen) Analyse der "Deutschen Welle" - dem offiziellen Sprachrohr der Bundesregierung für das Ausland - zum Tag der deutschen Einheit:
"Germany's confidence in international politics is growing.Germany's clear opposition to Washington's plans for war in Iraq served as a poignant example of this growing confidence. It showed a tenor that, at least in its openness, wouldn't have been imaginable earlier. That's also a byproduct of reunification, a process that has increased the international community's expectations of Germany just as much as it has changed its domestic social structure.
The more these demands increase, so must Germany's reliability and consistency, especially when it comes to issues like Berlin's role in the European Union or maintaining the German-French friendship. The importance of these tasks haven't decreased. They remain of equal importance as the integration of Germany.
The one thing the relationships have in common is this: There is no fixed terminus -- it's a process that will be a lasting challenge."
Eigentlich hätten die Redner nach Schröder diese Agenda unterstreichen sollen. Einer aber spielte nicht mit: der ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertész, der die Festrede hielt. Kertész kritisierte mit deutlichen Worten die Irak-Politik - Deutschlands!
Aus einem Bericht der FAZ:
"Kertész beklagte zugleich die Zerstrittenheit Europas über den Irak-Krieg. Es sei dabei vermutlich "in seine alten Strukturen zurückgefallen". Plötzlich habe der irakische Diktator vergessen lassen, wer Freund und wer Feind sei. Es sei zu "lächerlichen Wortschlachten" gekommen zwischen Befürwortern und Gegnern des Krieges. Kertész verwies in dem Zusammenhang darauf, daß die osteuropäischen Staaten an der Seite der Vereinigten Staaten und Großbritanniens gestanden hätten. Polen und Tschechien könnten sich eben besser an München erinnern als manche Westeuropäer. Dabei, sagte Kertész, sei der Kampf gegen den Terrorismus, der ein Kampf zwischen Gut und Böse sei, für Europa ebenso wichtig wie für Amerika. Pazifismus sei keine Antwort auf die Herausforderung des Terrorismus."
Die Kritik von Kertész an der Irak-Politik Deutschlands wird in den deutschen Medien zitiert - allerdings nicht hervorgehoben, sondern eher im Text längerer Darstellungen versteckt. Es ist interessant, daß nicht eine deutsche Publikation, sondern die "Neue Zürcher Zeitung" den vollen Text der Festrede von Kertész zum Tag der deutschen Einheit veröffentlicht hat. Es gibt für die Bush-Hasser Michael Moore oder Susan Sontag normalerweise keine Schwierigkeiten, in deutschen Zeitungen veröffentlicht zu werden...
(Nachtrag: Detlef (vgl. Kommentare) weist mich darauf hin, daß die FAZ Sonntagszeitung die Rede von Kertész doch in voller Länge veröffentlicht hat.)
Reuters Deutschland zitiert die Kritik mit einem Satz: "Der als Festredner geladene ungarische Literaturnobelpreisträger Imre Kertesz kritisierte, Westeuropa habe im Streit mit den USA über den Irak-Krieg vergessen, wer seine Verbündeten seien."Ein wenig ausführlicher ist dpa: "Kertész - Überlebender des Konzentrationslagers Auschwitz - verteidigte den militärischen Kampf gegen den Terrorismus und kritisierte Deutschlands Rolle im Irak-Krieg. «Ich bin überzeugt, dass der Pazifismus keine angemessene Antwort auf die Herausforderung des Terrorismus darstellt.» Die rot-grüne Bundesregierung hatte den Irak-Krieg abgelehnt."
Die WELT verzichtet völlig auf die Kritik Kertész: "Literatur-Nobelpreisträger Imre Kertész würdigte bei seinem Auftritt als Festredner in Magdeburg die Deutsche Einheit als Ereignis von unschätzbarem Wert. Der lange und konfliktbeladene Prozess der Vereinigung sei eine Generalprobe für die europäische Einheit."
Die - nur online erscheinende - Netzeitung ist wohl die einzige Publikation, die der Rede von Kertész einen eigenen Beitrag widmet: "Kertesz kritisiert Haltung Deutschlands zu Irak".
Die deutsche Außenpolitik hat ihre Koordinaten eindeutig pro-französisch und anti-amerikanisch ausgerichtet. Gegendruck kann und muß kommen von Amerika und von den osteuropäischen Staaten, die aus ihrer Vergangenheit um die Gefahren terroristischer Regime wissen. Und beide - die USA ebenso wie Osteuropa - haben ihre eigenen schmerzhaften Erfahrungen mit der Großmannssucht deutscher Politik gemacht...
English translation
(For German version: scroll upwards)
"Day of German Unity": German Anti-Americanism and Eastern European Pro-Americanism
The official celebration for the "Day of German Unity" on October 3 in Magdeburg was, in line with the wishes of the German government, supposed to transmit a number of messages to viewers. According to the statement on the German government's website these were:
- in the last 13 years a lot as been achieved on the way to unity, but there is still a long way to go;- German unity is a process that is also to be understood in a greater sense as a part of European integration;
- Germany is prepared to take on responsibility worldwide.
In the speech made by Chancellor Schroeder, a number of interesting accents were included to once again underline the anti-American course of the German government. For Schroeder - whose party (SPD) warned against a hasty reunification in the 1990 elections - the following factors were essential to reunification:
- Europe ("we remember today that Germany's freedom and unity could have only succeeded in a European context.");
- the movement for freedom in Eastern Europe ("... would not have been possible without the peaceful revolution in Middle and Eastern Europe in 1989. Without the cutting of the barbed wire on the Hungarian border, without the Solidarity Movement in Poland, without all of the revolutions in Prague.").
But Schroeder was unable to find a single word of thanks with which to address the USA. The decade-long protection of Germany - and especially of Berlin - was also never mentioned, just as the political support of the US government for German reunification in 1990 was not mentioned: It was, after all, former President Bush, Sr., who overcame the resistance of Francois Mitterand and Maggie Thatcher in his support of the reunification project.
But Schroeder not only failed to utter a single word of thanks to Germany's decade-long ally in his speech - he even indirectly criticized the Iraq policy of the US government in a manner everyone could understand:
"And there, where we are convinced that the supposed threat does not justify the dangers and consequences of a war, we have the courage to say "No"."
In this context, Schroeder skillfully hints that "we" did not succumb to "hyper patriotism," but instead pursued "a policy of prevention and commitment to security."
"For this policy we find partners and a large consensus in the European Union, in NATO and, as I once again experienced in the past weeks, in the United Nations."
Every listener knows from whom Schroeder would like to distance himself with his comments: from the USA, whose policy supposedly does not find "large consensus." Anti-Americanism is the pillar of the current German government's strategy aiming for a larger German role in international politics. This is also made clear in an analysis from "Deutsche Welle" - the official mouthpiece of the German government outside of Germany - on the "Day of German Unity":
"Germany's confidence in international politics is growing.Germany's clear opposition to Washington's plans for war in Iraq served as a poignant example of this growing confidence. It showed a tenor that, at least in its openness, wouldn't have been imaginable earlier. That's also a byproduct of reunification, a process that has increased the international community's expectations of Germany just as much as it has changed its domestic social structure.
The more these demands increase, so must Germany's reliability and consistency, especially when it comes to issues like Berlin's role in the European Union or maintaining the German-French friendship. The importance of these tasks haven't decreased. They remain of equal importance as the integration of Germany.
The one thing the relationships have in common is this: There is no fixed terminus -- it's a process that will be a lasting challenge."
The speakers following Schroeder actually should have further emphasized this agenda. But one of them did not play along: Hungarian Nobel Prize winner and keynote speaker Imre Kertész. Kertész did not mince words in criticizing the Iraq policy - of Germany!
From an FAZ report:
"Kertész complained about Europe's division over the Iraq War. It presumably reverted "back to its old structures." Suddenly the Iraqi dictator was able to let us forget who was a friend and who was an enemy. It came to "ridiculous verbal battles" between supporters and opponents of the war. Kertész referred in this context to the fact that the Eastern European countries stood on the side of the United States and Great Britain. Poles and the Czechs were better able to remember Munich (1938) than most Western Europeans. Kertész also said that the fight against terrorism was a fight between good and evil and is just as important for Europe as it is for America. Pacifism is no answer to the challenge of terrorism."
Imre Kertész's criticism of Germany's Iraq policy is quoted by the German media, but not emphasized, and instead hidden in the texts of longer descriptions of the event. It is interesting to note that not a German publication, but the Swiss "Neue Zürcher Zeitung" printed the full speech of Imre Kertész. In contrast: Bush-bashing Michael Moore or Susan Sontag can usually easily publish in German newspapers and magazines...
(Update: Detlef (see comments) found the full text of the speech in the Sunday edition of the FAZ.)
Reuters Germany quotes only one line of the criticism: "The invited keynote speaker Hungarian Nobel Prize winner Imre Kertész criticized that Western Europe forgot who its allies are in its fight with the USA over the Iraq War."
A little more detail is provided by dpa: "Kertész - a survivor of the Auschwitz concentration camp - defended the military fight against terror and criticized Germany's roll in the Iraq War. "I am convinced that pacifism does not represent an appropriate answer to the challenges of terrorism." The red-green coalition government in Germany rejected the Iraq War."
Die WELT completely omits Kertész's criticism: "The Nobel Prize winner for Literature Imre Kertész paid tribute to German unification as an event of incalculable value in his address as keynote speaker. The long, conflict-loaded process of unification is also a general test for European unity."
The - online only - "Netzeitung" is really the only German publication that dedicates its own article to Imre Kertész's speech: "Kertész criticizes Germany's position on Iraq."
German foreign policy has clearly positioned itself as pro-French and anti-American. Counter pressure can and must come from America and from the Eastern European states, who from their (recent) past know the dangers of terrorist regimes. And both - the USA as well as Eastern Europe - have had their own painful experiences with the German political addiction to being a great power...
Translation by Ray D.
Other postings referring to German politics with regard to the US:
Nun, vielleicht haettest Du mit Deiner Kritik ein bis zwei Tage
warten sollen. Der 3. Oktober war ein Feiertag, Freitag, gefolgt von einem
Wochenende.
Vielleicht hast Du es uebersehen, aber die FAZ am Sonntag hat die
gesamte Rede von Imre Kertész auf Seite 8 gedruckt.
Well, maybe you should have allowed German media a "grace" period.
After all, Oct. 3, a Friday, was a public holiday, followed by a weekend.
In case you overlooked it, the Sunday edition of the FAZ printed the
whole speech of Imre Kertész on page 8.
Detlef
Posted by: Detlef | October 05, 2003 at 11:19 PM
Dann war's ein Fehler von mir. Sorry!
Dabei hatte ich heute früh die Sonntagsausgabe der FAZ schon in der Hand ... aber leider dann doch nicht gekauft.
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My mistake. Sorry!
I came even close to buying a copy of the Sunday edition of the FAZ this morning ... but didn't buy it eventually. Shit happens...
Posted by: David | October 05, 2003 at 11:33 PM
Well, I didn´t say that David was wrong for critizising the general attitude of the German media. And you´re right too with your criticism.
I just mentioned that the FAZ on Sunday printed the speech and - just to add it now since David didn´t buy it - printed an article on page 1 reporting that the conservative CDU party praised that speech.
Depending on when the speech was made on Friday it simply might have been too late for the FAZ Saturday edition. The FAZ is sometimes a bit slow.
I simply wanted to point out that not all newspapers avoided the speech.
And I might add that the FAZ is one of the largest nationwide daily newspapers.
I truly would have been disappointed of them if they had not written about the speech!
Detlef
Posted by: Detlef | October 06, 2003 at 05:35 PM
Hier die Rede von Kertesz:
http://www.faz.net/s/Rub1DA1FB848C1E44858CB87A0FE6AD1B68/Doc~E2CDA915A66014B4BAE5CD22298667FEC~ATpl~Ecommon~Scontent.html
Posted by: Al | October 08, 2003 at 07:28 PM
Lieber Herr Kaspar!
Wie wärs wenn Sie anstatt ausschließlich die deutschen Medien,auch mal die amerikanischen Massenmedien kritisieren würden? Wie zB die absolut anpruchsvolle USA Today?(genauso gehen aber auch die restlichen manipulierten Zeitungen und Sender Ihres Landes, wie zB Foxnews die den Irak-Krieg als unterhaltsamen Helden-Epos/Computerspiel darstellen.)
Die oben erwähnte "Zeitung", die auf Ihrer Liste leider nicht zu finden ist, genau aus sieben Seiten bestehend(wenn man den ausführlichen Sportteil nicht miterechnet) entspricht sicherlich vollstens Ihrer Vorstellung von Amerika. Hoch lebe der Patriotismus !
Posted by: Angelina Lacopaldie | October 08, 2003 at 08:55 PM
Gegen Angriffe dieser Art, Angelina, hat sich der Herr Kaspar doch schon durch den Titel abgesichert:
"Politisch unkorrekte Betrachtungen zur Berichterstattung in deutschen Medien"
David Kaspar glaubt an eine Verschwörung der 'Linken' und Amerikahasser, eine verstärkte Behandlung mit amerikanischen Medien würde da jedoch seine eigene Argumentation torpedieren.
Posted by: art | November 01, 2003 at 01:35 AM
Irakkrieg als Heldenepos/Computerspiel bei Foxnews dargestellt? Haben Sie selbst Foxnows gesehen? Wie oft, so daß Sie eine eigene Meinung haben können? Oder wiederholen Sie hier nur angelesene Meinungen?
Was wissen Sie von Patriotismus, über den Sie sich hier verächtlich äußern wollen? Hitler hat jegliches patriotische Gefühl für die nächsten Generationen in Deutschland zerstört. Auch die deutschen Journalisten unterliegen diesem Irrtum, daß Patriotismus irgendetwas Widerliches ist, das man verachten muß. So simpel ist die Welt nicht. Nie. Was lassen Sie denn hochleben? Ihren Frieden, der andere tötet?
Mir wird schon schlecht, wenn ich die deutsche Nationalhymne höre. Ist das besser? Wir sollten über Patriotismus nachdenken, bevor wir ihn verächtlich machen. Deutsche sind sicher nicht diejenigen, denen ich hier ein sachliches Urteil zutraue. Zu viel Last ruht auf deutschem Patriotismus. Aber man möge dann bitte nicht andere verurteilen. Wo ist Ihr differenziertes Denken?
Posted by: Gabi | November 01, 2003 at 09:58 AM